Am 1. Januar hat Portugal den EU-Ratsvorsitz übernommen. Sechs Monate deutsche Ratspräsidentschaft liegen hinter uns. Die Bilanz fällt positiv aus – auch, wenn aufgrund von Corona oft andere Themen als vorgesehen im Mittelpunkt standen. So hätte es vor zwölf Monaten wohl niemand für möglich gehalten, dass wir so intensiv über die Frage diskutieren werden, wie Europa mit Blick auf die Versorgung mit Arzneimitteln und medizinischen Produkten wie Masken wieder unabhängiger von Staaten wie China werden kann.
Eine Ratspräsidentschaft lebt von Begegnungen. Zu „normalen“ Zeiten stehen unzählige Veranstaltungen im jeweiligen Gastgeberland auf dem Programm. In einer Pandemie war das praktisch nicht möglich. Bis auf wenige Ausnahmen fanden alle Beratungen in Webkonferenzen statt. Wir sind dankbar, dass die moderne Technik uns diese Möglichkeit des persönlichen Austauschs auf Distanz ermöglicht. Und doch wäre es manchmal schöner gewesen, den Kollegen aus Frankreich, Spanien oder Slowenien direkt gegenüberzusitzen.
Inhaltlich hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft eine Reihe von Erfolgen vorzuweisen: Mit der vorläufigen Einigung auf den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), den Haushalt der EU, sowie den Corona-Wiederaufbaufonds wurde bereits gleich zu Beginn ein gordischer Knoten durchschlagen.
Nach vier Tagen und Nächten stand die Einigung auf eine Summe von rund 1,8 Billionen Euro, davon knapp 1,1 Billionen für den MFR und 750 Milliarden für den Fonds. Der Fonds besteht aus 390 Milliarden Euro nicht rückzahlbaren Zuschüssen und 360 Milliarden Euro an Krediten. Von ihm profitieren besonders die EU-Länder, die am stärksten unter der Corona-Krise gelitten hatten.
Nach harten Verhandlungen mit dem Europaparlament, das erfolgreich mehr Mittel für Bildung, Forschung und Gesundheit einforderte, sperrten sich Polen und Ungarn gegen den mit dem MFR verknüpften Rechtsstaatsmechanismus. Wäre es nicht gelungen, hier eine Einigung zu finden, hätte die EU ab Januar mit einem Nothaushalt operieren müssen. Auch der Corona-Wiederaufbaufonds hätte nur mit zeitlicher Verzögerung durchgesetzt werden können. Doch soweit kam es nicht. In einer Zusatzerklärung wurde Polen und Ungarn zugestanden, gegen den Rechtsstaatsmechanismus vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen, sobald er in Kraft tritt. Mit diesem Kompromiss kauften sich die beiden Länder Zeit. Und dennoch erlaubt der neue Mechanismus es nun erstmals, Gelder zu kürzen, wenn die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit durch Mitgliedsstaaten verletzt werden.
Auch in Sachen Klimaschutz hat die EU ein Ausrufezeichen gesetzt. So vereinbarten die Mitgliedstaaten die Verschärfung des Klimaziels für 2030. Bis dahin soll der Treibhausgasausstoß EU-weit um 55 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden und nicht wie bislang nur um 40 Prozent. Wichtig ist uns dabei, Ökonomie und Ökologie miteinander zu verbinden. Kompromisse finden und den europäischen Zusammenhalt stärken – das haben wir in den vergangenen sechs Monaten erreicht.