Die Widerspruchslösung kommt – allerdings nicht bei uns, sondern in der Schweiz. Mit knapp 60 Prozent haben sich die Eidgenossen für eine Neuregelung beim Thema Organspende ausgesprochen. Dort gilt nun – wie bereits unter anderem in Frankreich, Irland, Italien, Österreich und Spanien – jeder als potenzieller Organspender, der das zu Lebzeiten nicht ausdrücklich ablehnt. Angehörige von Verstorbenen erhalten weiterhin ein Veto-Recht.
Vor rund zwei Jahren hat sich der Deutsche Bundestag bekanntlich gegen die Einführung der Widerspruchslösung, für die auch ich mich stark eingesetzt habe, ausgesprochen. Auch wenn es parlamentarische Mehrheiten zu akzeptieren gilt, bedaure ich diese Entscheidung des hohen Hauses weiterhin sehr. In Deutschland warten aktuell rund 8.500 Menschen auf eine Organspende. Mit ihnen bangen viele tausende Partnerinnen und Partner, Kinder, Eltern und Freunde um ihr Leben. Und immer wieder sterben Menschen, weil das rettende Organ zu spät oder gar nicht gefunden wird.
Und die Lage hat sich weiter verschärft: Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) vermeldet für das erste Quartal 2022 einen massiven Einbruch der Organspendezahlen von 29 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Laut DSO habe unter anderem die Arbeitsüberlastung in den Kliniken infolge der Corona-Pandemie zu dieser negativen Entwicklung beigetragen, aber auch die grundsätzliche Ablehnung einer Organspende habe im Vergleich zu den vergangenen Jahren zugenommen. Hinzukomme, dass eine Erkrankung mit SARS-CoV2 bis vor kurzem als Ausschlussgrund für eine Organentnahme galt, da die potenziellen Spender meist an einer schweren COVID-19-Erkrankung gestorben waren. Mittlerweile ist im Einzelfall eine Organentnahme möglich, etwa, wenn es sich bei der Corona-Erkrankung nur um einen Zufallsbefund handelt und der Verstorbene vor seinem Tod keine Symptome entwickelt hatte.
Umso wichtiger ist es, weiterhin für die Organspende zu werben. Am 1. März ist das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende in Kraft getreten. Es regelt unter anderem, dass die Ausweisstellen von Bund und Ländern den Bürgerinnen und Bürgern zukünftig Aufklärungsmaterial und Organspendeausweise aushändigen müssen. Auch entsprechende Beratungsangebote werden intensiviert. Außerdem ist die Einrichtung eines bundesweiten Online-Registers beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vorgesehen. In der ärztlichen Ausbildung soll das Thema Organ- und Gewebespende stärker verankert werden; ebenso soll Grundwissen auch in den Erste-Hilfe-Kursen, die zum Erwerb des Führerscheins notwendig sind, vermittelt werden.
Die persönliche Entscheidung für oder gegen eine Organspende kann einem freilich niemand abnehmen. Ich werbe darum weiterhin dafür, sich intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen und den eigenen Willen zu dokumentieren. Das ist das mindeste, was jeder einzelne von uns als mündiger Bürger tun kann.